Wednesday, February 6, 2012


Interview of PASOK President Evangelos Venizelos with Die Zeit newspaper and reporters Mark Schieritz and Zacharias Zacharakis (in German)

 

Sozialistenchef Venizelos
"Deutschland braucht eine klare Vision für Europa"

Die Debatte über einen Euro-Austritt war schädlich, sagt Griechenlands Sozialistenchef Venizelos im Interview. Zum ersten Mal kritisiert er damit die deutsche Kanzlerin.

ZEIT: Griechenland erlebt das sechste Jahr der Rezession. Wann geht es mit Ihrem Land wieder aufwärts?

Venizelos: Die wirtschaftliche Situation hat sich auch Dank der Unterstützung unserer internationalen Partner deutlich gebessert, ist aber trotzdem nicht gut. Es gibt positive Signale von den Rating-Agenturen, auch der Finanzmarkt hält es momentan für sehr unwahrscheinlich, dass Griechenland noch aus dem Euro ausscheiden könnte.

ZEIT: Davon spüren die Menschen und die Unternehmen aber noch nicht viel. Gerade wird wieder gestreikt in Athen.

Venizelos: Das Hauptproblem ist: Wir brauchen mehr Liquidität in der Realwirtschaft, kleine und mittlere Unternehmen haben es immer noch sehr schwer, an Kredite für Investitionen zu gelangen. Wir müssen daher zunächst mit Hilfe unserer Partner unser Bankensystem sanieren.

ZEIT: Der Eindruck in Deutschland ist: Griechenland hat viel Geld bekommen und wenig reformiert.

Venizelos: Und dieser Eindruck ist falsch. Wir haben weitreichende Reformen umgesetzt. Die Arbeitskosten wurden ganz erheblich gesenkt, wir haben ein völlig neues Rentensystem aufgebaut und den Arbeitsmarkt flexibler gemacht. Viele Berufsgruppen haben ihre Privilegien verloren. Das Fundament für eine wettbewerbsfähige Wirtschaft ist gelegt.

ZEIT: Die Privatisierung von Staatsunternehmen kommt nicht voran.

Venizelos: Wir haben die Voraussetzungen dafür geschaffen. Aber es gibt zu wenige Interessenten, weil im Moment nur wenige Unternehmen aus dem Ausland in Griechenland investieren wollen. Wir brauchen besonders aus Deutschland Hilfe bei der Suche nach Investoren.

ZEIT: Viele potenzielle Interessenten werden von den hohen Schulden abgeschreckt.

Venizelos: Wir werden in diesem Jahr erstmals wieder einen Überschuss im Primärhaushalt erzielen. Wir nehmen also mehr ein, als wir ausgeben, wenn man die Schulden nicht berücksichtigt. Das ist die große Wende in der Haushaltspolitik: Die Ära eines defizitären Primärhaushalts ist endgültig vorbei. Wir haben innerhalb von drei Jahren unser Defizit um zwölf Prozentpunkte gesenkt – das ist einmalig unter den Industrieländern.

ZEIT: Der Sparkurs belastet die Konjunktur. Wann kommt die Wende?

Venizelos: 2013 ist das sechste, aber auch das letzte Jahr der Rezession. Im kommenden Jahr wird die Wirtschaft wieder wachsen. Das sage nicht nur ich, das sagen auch unsere internationalen Partner. Wir brauchen dieses Wachstum: Viele Menschen leiden, die Sparmaßnahmen gefährden den sozialen Zusammenhalt in unserem Land.

ZEIT: Warum setzen Sie sie dann um?

Venizelos: Das war nicht unsere Entscheidung! Wir haben uns das nicht ausgesucht. Wir standen vor der Wahl, die Auflagen unserer Partner zu akzeptieren oder einen Bankrott zuzulassen.

ZEIT: Sie hätten sich für Letzteres entscheiden können?

Venizelos: Das hätte katastrophale Folgen für die Wirtschaft gehabt: für die Renten, für den öffentlichen Dienst, für die Ersparnisse, den Immobilienmarkt. Wir konnten nicht zwischen einer guten und schlechten Lösung, sondern zwischen einer schlechten und katastrophalen wählen. Deshalb haben wir das Programm akzeptiert.

ZEIT: Weshalb gelingt es nicht, die Wohlhabenden stärker an den Lasten zu beteiligen, das würde die soziale Schieflage mildern?

Venizelos: Das ist ein strukturelles Problem in Griechenland: Die mangelhafte Steuermoral und Steuerflucht gerade unter Selbstständigen und Unternehmern ist historisch bedingt. Wir gehen dagegen vor, indem wir das Bankgeheimnis praktisch aufgehoben haben. Wir können jetzt auf alle wichtigen Informationen über Transaktionen ins Ausland zugreifen.

ZEIT: Ihre Bereitschaft, gegen Steuerflucht tatsächlich vorzugehen, hält sich aber in Grenzen. Schließlich hat ihre Regierung vor zwei Jahren von Frankreichs damaliger Finanzministerin Christine Lagarde eine CD mit Daten von 2.000 möglichen Steuerhinterziehern erhalten – und geschehen ist nichts.

Venizelos: Das griechische Parlament ist in seiner Untersuchung zu einem anderen Ergebnis gekommen: Bevor ich 2011 Finanzminister wurde, waren die Daten bereits in Besitz der Steuerfahndung. Die Verantwortung lag somit bei den Steuerbehörden. Außerdem ist die Liste nur eine von vielen.

ZEIT: Welche gibt es noch?

Venizelos: Wir haben eine Liste aus Luxemburg, eine Liste aus Liechtenstein, eine Liste des Immobilienvermögens in London und Berlin. Die wichtigste Liste ist aber die der nicht deklarierten Überweisungen, die aus Einlagen bei griechischen Banken ins Ausland getätigt wurden. Insgesamt sprechen wir von einem Volumen möglicherweise unversteuerter Vermögen von 90 Milliarden Euro. Das werden wir Schritt für Schritt abarbeiten. In der Lagarde-Liste kommen etwa zwei Milliarden Euro für einen Zeitraum von 1996 bis 2007 zusammen. Das war nachrangig.

ZEIT: Etwa zwölf Prozent des Bruttoinlandsprodukts erwirtschaftet Griechenland im Tourismus. Gerade beginnt die Buchungsphase für den Sommer. Sind die Deutschen trotz der strengen Sparvorgaben der Bundesregierung als Gäste noch willkommen?

Venizelos: Die deutschen Touristen sind für Griechenland besonders wertvoll. Die Menschen in Deutschland sehen, dass sich die politische Situation in Griechenland wieder deutlich stabilisiert hat. Unsere Regierung wird am pro-europäischen Reformkurs festhalten. Deutschland ist unser wichtigster wirtschaftlicher Partner auch in diesem Bereich.

ZEIT: In Deutschland wird dieses Jahr gewählt. Würden Sie gerne mit Angela Merkel als Bundeskanzlerin weiterarbeiten?

Venizelos: Wir brauchen eine klare, pro-europäische Position in Deutschland. Deutschland muss eine Führungsrolle in der Euro-Zone einnehmen – mit einer klaren Vision für die Zukunft der Währungsunion. Das ist uns sehr wichtig. Die Bundesregierung muss verstehen, wie sehr Deutschland davon profitiert, für die gemeinsame Währung einzustehen und diese zu garantieren.    

ZEIT: Hat die derzeitige Regierung diese Vision aus Ihrer Sicht?

Venizelos: Die Diskussion über einen möglichen Austritt Griechenlands aus der Euro-Zone war sehr schädlich – nicht nur für uns, sondern auch für andere europäische Länder und auch für Deutschland. Sie hat für viel Unruhe gesorgt. Aber es sieht so aus, als hätten sich am Ende die vernünftigen Kräfte durchgesetzt.

ZEIT: Sie haben sich mit Peer Steinbrück getroffen – wäre eine sozialdemokratische Regierung besser für Europa und ihr Land?

Venizelos: Ich bin Vorsitzender einer sozialistischen Partei. Pasok hat natürlich eine privilegierte Partnerschaft mit der SPD. Aber ich respektiere die demokratische Entscheidung der Deutschen. Ihre Regierung müssen Sie wählen!

ZEIT: Wie stabil ist die griechische Demokratie? Die rechtsextreme Goldene Morgenröte liegt in Umfragen bei zehn Prozent.

Venizelos: Wir organisieren derzeit eine Allianz aller politischen Parteien, die auf dem Boden unserer Verfassung steht, gegen Neonazis, Rassismus und xenophobe Gewalt. Es bildet sich nicht nur im Kampf gegen die Rechtsextremen eine Gemeinschaft der pro-europäischen Kräfte gegen die Krise heraus. Sie sehen das auch an der aktuellen Regierung, eine Koalition aus drei Parteien – für griechische Verhältnisse ist das bemerkenswert. Wir werden das schaffen!
 


Evangelos Venizelos ist Vorsitzender der sozialistischen Partei Pasok in Griechenland, welche in einer Koalition die Regierung von Premier Antonis Samaras stützt. Venizelos war bis März 2012 Finanzminister und verhandelte den Schuldenschnitt Griechenlands mit den privaten Gläubigern des Landes. Zuvor war Venizelos sieben Mal Minister in verschiedenen Regierungen. Der Jurist promovierte an der Universität Thessaloniki in Verfassungsrecht, wo er mit 29 Jahren Professor wurde.

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